Februar 2025

Vulkanausbruch in einem Meeting

Als ich noch in der Personalentwicklung einer Telekomfirma angestellt war, bekam ich von meinem Chef den Auftrag, einen eintägigen Kaderworkshop zu organisieren. Dabei sollten verschiedene Ziele erlebnis- und spassorientiert erreicht werden, der Austausch gefördert und auch Raum für die gemeinsame Erarbeitung von Themen eingeplant werden. Keine leichte Aufgabe. Also machte ich mich ans Workshop-Design. Mein Kopf rauchte – wie sollte ich all das unter einen Hut bringen?

Manchmal überwältigen einem Gefühle wie ein Vulkanausbruch.

Als ich im Teammeeting stolz mein Ergebnis präsentierte, gab mir mein Chef folgendes Feedback auf meine Präsentation: «Das geht auch in einem halben Tag!» Sofort spürte ich die Wut in mir hochsteigen und mir schossen Tränen in die Augen. «Verdammt, jetzt bloss nicht losheulen!», sagte ich zu mir selber, während ich versuchte, mich an die GFK zu erinnern. Ich griff zur Flucht nach vorne und versuchte, meine Gefühle zu benennen. Dass ich emotional aufgewühlt war, konnte man ja eh sehen… Also sagte ich: «Dieses Feedback macht mich wütend!» Mehr brachte ich unter Tränen nicht raus. Das wiederum triggerte meinen Chef und er sagte: «Vera, das geht so nicht. Du bist nicht feedbackfähig! Und du willst Kommunikations-Trainerin sein?!» Das war zu viel für mich. Ich stand auf und verliess den Raum, denn alles, was ich jetzt gesagt hätte, hätte die Situation nur noch verschlimmert. 

Ich verschanzte mich hinter meinem PC und liess die Tränen fliessen. Nach einer Weile nahm ich eine Gefühlskarte zur Hand, die ich mir vor einiger Zeit erstellt hatte, und tastete meine Gefühle ab. Was lag unter meiner starken Wut? Frustration, Ohnmacht oder Trauer? Etwa so in dieser Reihenfolge... Dann drehte ich die Karte um und schaute auf die Bedürfnisse auf der Rückseite. Ich las die vielen verschiedenen Bedürfnisse und fragte mich, wonach ich mich sehnte. Es dauerte ein paar Minuten, bis mir klar wurde: Es ging mir darum, gesehen zu werden – mit all den Gedanken, die ich mir gemacht hatte. Ich wollte eine Chance für mein Konzept und wünschte mir Wertschätzung für meine Arbeit. Alles menschliche Bedürfnisse… 

Ich beruhigte mich allmählich, auch wenn ein Scham-Gefühl noch in mir nachhallte. Über Mittag ging ich mit ihm spazieren – denn ich hatte gelernt, dass selbst Scham oft für etwas Gutes eintritt. Während ich am Ufer der Limmat entlanglief, wurde mir bewusst, dass es mir auch um Zugehörigkeit ging. Ich hatte Angst, als Trainerin nicht mehr zu genügen. Es ging mir um Glaubwürdigkeit und einen respektvollen Umgang. All diese Bedürfnisse zu sehen, stimmte mich versöhnlich mit mir selbst: Ich hatte mich sehr für ein cooles Workshop-Programm engagiert und mir viele Gedanken gemacht, wie all die Ziele an einem Tag erreicht werden können. Und ich wollte eine Chance haben, mitzuteilen, weshalb ich das Konzept so erstellt hatte. Ich wollte auch in meiner Kompetenz als Personalentwicklerin gesehen werden. Und durch die Bemerkung des Chefs war ein Teil von mir so alarmiert, dass diese Bedürfnisse nicht erfüllt wurden, dass das ganze Notfallprogramm in mir ablief. 

Jetzt merkte ich, dass ich zu meiner Kraft zurückfand, denn gerade hatte ich mir selber das Bedürfnis nach Gesehen werden erfüllt. Ich fragte mich, was ich jetzt tun könnte, um möglichst all meinen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Ich entschied mich, zu meinem Chef zu gehen und ihm zu erzählen, weshalb ich explodiert war und was ich jetzt von ihm brauchte.  

Selbstempathie hilft, um wieder in die Kraft zu kommen.

Also ging ich am späten Nachmittag zu meinem Chef und fragte ihn, ob er Zeit für ein Gespräch habe. Er war sichtlich erleichtert, dass ich auf ihn zukam. Ihm war der Vorfall ebenfalls unangenehm und er war bereit, mir zuzuhören. So bekam ich die Chance, mein Konzept zu erklären. Dann erfuhr ich, dass die Geschäftsleitung kurzfristig entschieden hatte, noch eine wichtige strategische Entscheidung im Workshop kundzutun. Dafür brauchte es nun ebenfalls Zeit. Mit diesem Wissen entwickelten wir gemeinsam Ideen, wie mein Programm zugunsten der zusätzlichen Kommunikation gestrafft werden konnte. Trotz der Kürzung blieben die gesteckten Ziele des Workshops in Reichweite – und am Ende waren sowohl die Teilnehmenden als auch die Geschäftsleitung mit dem Tag zufrieden.

Zwei wichtige Dinge habe ich aus diesem Vorfall gelernt: 

  1. Es ist ungünstig, nur das Gefühl zu benennen und es an den Auslöser - in diesem Fall das Feedback - zu knüpfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Gegenüber hört: «Weil du mir dieses Feedback gibst, bin ich jetzt wütend. Du bist schuld, dass es mir schlecht geht!», ist gross. Dass sich das Gegenüber dann zu verteidigen versucht, liegt auf der Hand. Wird jedoch das Gefühl mit einem Bedürfnis verknüpft, steigt die Chance auf ein zielführendes Gespräch: «Ich hörte von dir, dass das Programm in einen halben Tag passen soll. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie ich all die Anforderungen an einem Tag unterbringen kann und ich möchte gerne angehört werden. Darf ich dir jetzt meine Gedankengänge erläutern?» 

  2.  «You always have a second chance to make a first impression!» Die Zeit, die ich mir für Selbstempathie genommen habe, hat mich wieder in meine Kraft gebracht. Ich bin proaktiv auf meinen Chef zugegangen und habe damit meine Glaubwürdigkeit wiederhergestellt. 

Rückblickend bin ich stolz darauf, wie es mir gelungen ist, diese Situation selbstverantwortlich geradezubiegen. Und ich möchte Dir Mut machen, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, wenn es mal nicht so läuft, wie Du es Dir wünschst. Du kannst den Gesprächsfaden immer wieder aufnehmen.

Vera Heim

Brauchst Du vielleicht auch eine Liste mit Gefühlen und Bedürfnissen? Hier kannst Du sie Dir herunterladen.