Oktober 2024

Drei Gründe, weshalb eine wertfreie Beobachtung Deine Kommunikation vereinfachen kann

Claudia ärgert sich schon seit Tagen, dass ihr Mitarbeiter Michael bei der Arbeit immer wieder aufs Handy schaut. Claudia möchte nicht kleinlich sein und sich unbeliebt machen, aber das Team hat sehr viel zu tun, und dafür braucht es jeden Mitarbeitenden. Sie fasst sich ein Herz und spricht Michael darauf an:

Viel zu schnell bewerten wir das gesehene...

«Du Michael, ich sehe, dass Du ständig auf Dein Handy schaust. Das geht so nicht während der Arbeitszeit. Bitte konzentriere Dich auf Deine Arbeit.» Michael schaut überrascht auf und geht in die Defensive. «Das stimmt doch gar nicht - ich habe nur kurz auf den Chat geschaut, weil ich privat eine Sache zu klären habe.» Claudia macht einen Rückzieher - wie sie ihn schon von sich kennt, wenn es Widerspruch gibt: «Ok - ich bitte Dich aber trotzdem, Dich jetzt auf Deine Arbeit zu konzentrieren.»

Claudia merkt, wie ihr Puls hochgeht und verzieht sich hinter ihren Computer. Das war wohl nicht der beste Gesprächseinstieg. Was war schiefgelaufen? -Nachdem sie ein paar Mal tief ein- und ausgeatmet und sich innerlich etwas beruhigt hat, erinnert sie sich an die Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation, wonach ein zielführender Gesprächseinstieg mit einer wertfreien Beobachtung beginnt. Mit der Aussage: «Ich sehe, dass Du ständig auf Dein Handy schaust.», ist ihr das nicht gelungen. Dieses kleine Wort «ständig» hat es in sich. Es ist eine Bewertung, die Michael zum Wiederholungstäter macht und eine entsprechende Gegenreaktion auslöst. Deshalb ist es sehr wichtig, sich zu Beginn des Gesprächs auf drei Punkte zu konzentrieren.

  1. Widerstände minimieren: Bewertungen und Urteile können beim Gegenüber Abwehrreaktionen auslösen, was Konflikte anheizt. Wertfreie Beobachtungen hingegen schaffen eine neutralere Basis für das Gespräch. 
  2. Vorurteile vermeiden: Durch das bewusste Trennen von Beobachtung und Bewertung vermeiden wir, dass Vorurteile oder voreilige Schlüsse in unsere Kommunikation einfliessen. 
  3. Mitgefühl entwickeln: Wenn wir ohne Bewertung beobachten, fällt es uns leichter, die Perspektive des anderen einzunehmen und Mitgefühl zu entwickeln. 
Claudia analysiert die Situation. «Die Abwehrreaktion von Michael war eindeutig. Er ist im Gespräch sofort in die Verteidigung gegangen. Kein Wunder, konnte sich so kein konstruktives Gespräch entwickeln. Und wenn ich ehrlich bin, dann habe ich zu lange mit dem Ansprechen des Themas zugewartet. Stattdessen habe ich mich darauf fixiert, wie oft er sein Handy in die Hand nimmt. Meine emotionale Ladung, genährt durch mein (Vor-)urteil, war für Michael gut spürbar. Und last but not least bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass es einen guten Grund für diese Verhaltensweise geben könnte. Erst jetzt eröffnet sich mir diese Perspektive.»

Claudia ist erstaunt, wie die gelernte Theorie auf verschiedenen Ebenen auf einmal praxisnah wird. Sie nimmt sich vor, das Ganze noch einmal anzusprechen.

Dieses Mal steigt sie mit einer wertfeien Beobachtung ein: 

«Ich möchte gerne noch einmal auf unser Gespräch von vorhin zurückkommen. In den letzten zwei Tagen habe ich bemerkt, dass du während der Arbeitszeit häufiger auf dein Handy schaust, als es sonst der Fall ist. Ich habe mir Gedanken gemacht, ob es vielleicht einen Grund dafür gibt, den ich nicht kenne.» Michael wirkt entspannter und nickt. «Ja, das stimmt. Meine Mutter ist krank, und ich erhalte regelmässig Updates von meiner Familie. Ich wollte meine Arbeit nicht vernachlässigen, aber möchte gerne erreichbar sein.» Claudia fühlt sich erleichtert. Sie versteht nun, dass Michael nicht absichtlich unaufmerksam ist, sondern persönliche Umstände dahinterstehen. «Das tut mir leid zu hören, Michael. Danke, dass du das mit mir teilst. Ich verstehe, dass du in dieser Situation auf dem Laufenden bleiben möchtest. Gleichzeitig möchte ich auch, dass es mit der Arbeit vorwärts geht und wir unsere Termine einhalten können. Vielleicht können wir eine Lösung finden, die für uns beide funktioniert. Was hältst du davon, wenn du stündlich eine kurze Pause einlegst, um die Nachrichten zu checken, damit du dich danach wieder uneingeschränkt auf deine Aufgaben konzentrieren kannst?» Michael nickt zustimmend: «Das klingt gut. Ich denke, das könnte funktionieren. Danke für Dein Verständnis.» 

Fazit: Durch den wertfreien Einstieg und das Gespräch konnte Claudia das Missverständnis aufklären und eine Lösung finden, die für beide Seiten passt. Sie hat gelernt, dass es hilfreich ist, Beobachtungen zu teilen, ohne sofort zu urteilen oder zu kritisieren und dass dies zu einem besseren Verständnis führen kann. Und last but not least wurde ihr bewusst, dass in dem kleinen Wörtchen «ständig» eine emotionale Ladung stecken kann, die sie daran erinnert, Dinge frühzeitiger anzusprechen.  

Vera Heim 

Quellenangaben: 

  1. Rosenberg, Marshall B. «Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens.» Junfermann Verlag, 2017. 
  2. Lindemann, Gabriele und Heim, Vera «Erfolgsfaktor Menschlichkeit: Wertschätzend führen, wirksam kommunizieren» Junfermann Verlag, 2015 
  3. Bilder: Canva

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